In Westdeutschland im Jahr 825 (damals offenbar verwirrenderweise als Sachsen bezeichnet) haben es die Landbevölkerung im Allgemeinen und Inga, die Heldin des Buchs im Besonderen, nicht leicht: das Leben ist hart, jeder Krümel Nahrung muß dem Land unter großen Mühen abgerungen werden, und obendrein hat Karl der Große angeordnet, daß alle seine Untertanen Christen werden, obwohl diese darauf durchaus keinen gesteigerten Wert legen. Inga selbst hat gegen den Willen ihrer Familie Rothger, den Besitzer eines Bauernhofs, geheiratet. Nachdem die Ehe kinderlos blieb, hat sich Rothger eine Nebenfrau zugelegt, und so hat Inga einen schweren Stand in der Familie, besonders als Rothger plötzlich ums Leben kommt. Zunächst kann Inga auf dem Bauernhof bleiben, doch es gibt noch andere unerklärliche Todesfälle. Schon bald ist von Hexerei die Rede; Inga muß den Hof von Rothgers Familie verlassen und nach einer Zeit, in der sie sich allein in einer kleinen Hütte als kräuterkundige Heilerin durchschlägt, muß sie sogar ganz aus der Gegend in die nächstgelegene Kleinstadt fliehen. Neben dem Kampf ums Überleben hat es Inga auch mit der Liebe nicht leicht: sie verliebt sich ausgerechnet in einen der beiden Mönche, die in ihrer Heimat darauf achten sollen, daß die Landbevölkerung nicht zu ihren heidnischen Sitten und Gebräuchen zurückkehrt (was diese natürlich dennoch macht).
Als ich mir das Buch kaufte, hatte ich ja die größten Bedenken wegen des Klappentextes. Zum Glück waren meine Befürchtungen unbegründet: es gibt keine haarsträubendenden Grammatik- und Rechtschreibfehler darin. Allerdings muß das so eine Art "jetzt 20 % mehr in der Packung"-Aktion gewesen sein. Na gut, soviel ist es nicht, aber die Seiten 417 - 448 sind doppelt. Demzufolge müßte die nächste Auflage des Buchs, wenn es darin keine doppelten Seiten mehr gibt, um ca. 6,5 % (bei einer Gesamtstärke von 479 Seiten) günstiger sein, außer natürlich, wenn die Papierpreise bis dahin steigen...aber da kommt wieder die Einkäuferin bei mir durch.
Also, das Buch. Simone Neumann hat einfach eine packende und spannende Art zu schreiben, wie ich finde. Der Grundton des Buches ist, genau wie in "Des Teufels Sanduhr" auch wieder sehr düster, was natürlich angesichts der Situation, in der sich die handelnden Personen befinden, kaum anders möglich ist. Sie leben in einer Zeit in der jeder, der nichts besitzt, quasi rechtlos ist und in der man von einer Minute zur anderen ohne Vorwarnung alles verlieren kann.
Inga, die Heldin und Agius, der Mönch, in den sie sich verliebt, sind als Protagonisten recht interessant, wobei der Leser Agius weitaus weniger gut kennenlernt als Inga. Die beiden sind sehr unterschiedlich: Inga ist weitestgehend eine Pragmatikerin, die so handelt, wie es die Situation erfordert. Solche Leute schätze ich ja sowohl im wirklichen Leben als auch als Buchcharaktere sehr. Gelegentlich stürzt sie sich jedoch auch durch unbedachte Handlungen ins Unglück; eine dieser unbedachten Handlungen war es beispielsweise, daß sie sich mit ihrem verstorbenen Mann eingelassen hat und dadurch von ihrer Familie verstoßen wurde. Inga hat ein Gewissen und einige Prinzipien, denen sie folgt, aber sie kann durchaus nicht in die Kategorie "edle Heldin" eingeordnet werden: nicht selten ist sie berechnend und versucht, andere zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Wer könnte es ihr verdenken?
Agius ist im Gegensatz zu Inga weitgereist und gebildet. Er ist Mönch aus Überzeugung, der andere gern mal wegen Verstößen gegen offizielle oder auch inoffizielle Gebote des Mönchslebens zur Ordnung ruft; aber er selbst kann sich die eine oder andere Sünde auch nicht verkneifen. Das fängt damit an, daß er grundsätzlich davon überzeugt ist, immer recht zu haben, geht damit weiter, daß er sich gelegentlich mit höhergestellten Persönlichkeiten anlegt, und endet damit, daß er sich in Inga verliebt, was natürlich absolut tabu ist.
Auch die Nebenfiguren sind interessant. Da ist beispielsweise Agius' Mönchskumpel Melchior, der es liebt, Insekten zu beobachten und der sich gegen alle Wahrscheinlichkeit mit Ingas Freundin Gunda, einer eingefleischten Heidin, anfreundet. Berta und Gisela, Ingas Schwägerinnen, sind die Paris Hilton und Nicole Richie des frühen Mittelalters, nur in ungewaschen. Weitere Verwandte von Inga und Rothger spielen ebenso eine Rolle wie der Mörder, der sich irgendwo in den Wäldern versteckt und nichtsahnende Passanten entführt oder ums Leben bringt. Dieser Mörder hat einen Plan, aber als man versucht, ihm auf die Schliche zu kommen, ist es schon fast zu spät.
Mein einziger Kritikpunkt an dem Buch ist, daß man den Protagonisten nicht richtig nahe kommt. Es gibt Bücher, die so gut geschrieben sind, daß man quasi im Kopf des Helden ist: man ist glücklich, wenn er glücklich ist, friert, wenn ihm kalt ist, und erschrickt, wenn ihm etwas unerwartetes zustößt. Hier liest man beispielsweise: Inga wird vom Hof gejagt; aha. Wat nu? Aber man leidet eben nicht mit ihr.
Trotzdem ist Die Schlüsselträgerin ein spannendes Buch, das in einer Zeit spielt, die selten als Hintergrund für Romane dient. Das macht es interessant. Ich bin schon sehr gespannt, wann und wo das nächste Buch von Simone Neumann spielen wird.
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Mittwoch, 16. März 2011
Sonntag, 13. September 2009
Rebecca Gablé: Das zweite Königreich
England im Jahr 1064: Caedmon von Helmsby ist der Sohn eines Landadligen (eines Thanes) und einer Normannin und wird bei einem Wikingerüberfall schwer verletzt. Da er nun als Krüppel gilt, schickt ihn sein Vater als Übersetzer mit einem der Anwärter auf den englischen Thron in die Normandie. Dort wird er als Ritter ausgebildet und macht sich Freunde und Feinde, bis er schließlich mit der Armee Wilhelms des Eroberers nach England zurückkehrt. An dessen Hof wird er nach und nach zu einem wichtigen Mann, der versucht, sich für die angelsächsische Bevölkerung einzusetzen. Durch eine Affäre mit der Frau eines anderen setzt er jedoch alles aufs Spiel, und seine Feinde hören nicht auf, gegen ihn zu intrigieren...
Selbst wenn man bedenkt, daß das Buch sehr dick ist (875 Seiten), deckt es eine enorm lange Zeit (23 Jahre) und eine Menge Handlung ab. Da kommen die Interaktionen zwischen den Personen und die Charakterisierungen hier und da ein wenig zu kurz. Trotzdem ist es ein wirklich unterhaltsames Buch, und obwohl ich bei manchen von Caedmons Handlungen dachte: "oh nein, das machst du doch jetzt nicht...laß das lieber sein", war er ein sympathischer Held. Insgesamt sind die Handlungen der Personen aus dem Buch jedoch plausibel, und die "laß das lieber sein"-Momente kamen immer dann, wenn es um Caedmon und seine heimliche Affäre ging. Da die Autorin lt. Klappentext Mediävistin ist, gehe ich davon aus, daß die Geschichte weitestgehend korrekt dargestellt wird, und diese Teile des Buches sind wirklich interessant. So hatte ich bisher z. B. keine Ahnung, daß Wilhelm der Eroberer die Insel nicht nur erorbert hat, sondern auch einige wichtige Reformen durchgeführt hat oder durchführen wollte. Und selbst bei seinen grausamsten Verbrechen bekommt man noch einen Hinweis darauf, was ihn dazu motiviert haben könnte. Daß man einen guten Grund gehabt zu haben glaubt, macht das Enteignen oder gar Töten hunderter von Menschen natürlich nicht akzeptabel oder entschuldbar, aber ein Mensch, der selbst felsenfest davon überzeugt ist, daß Gott ihn zum Regieren bestimmt hat, kann wohl schon auf komische Gedanken kommen. Kriege ich Ärger, wenn ich als Beispiel ein paar Personen aus der Gegenwart nenne?...Na, ich lasse es lieber.
Selbst wenn man bedenkt, daß das Buch sehr dick ist (875 Seiten), deckt es eine enorm lange Zeit (23 Jahre) und eine Menge Handlung ab. Da kommen die Interaktionen zwischen den Personen und die Charakterisierungen hier und da ein wenig zu kurz. Trotzdem ist es ein wirklich unterhaltsames Buch, und obwohl ich bei manchen von Caedmons Handlungen dachte: "oh nein, das machst du doch jetzt nicht...laß das lieber sein", war er ein sympathischer Held. Insgesamt sind die Handlungen der Personen aus dem Buch jedoch plausibel, und die "laß das lieber sein"-Momente kamen immer dann, wenn es um Caedmon und seine heimliche Affäre ging. Da die Autorin lt. Klappentext Mediävistin ist, gehe ich davon aus, daß die Geschichte weitestgehend korrekt dargestellt wird, und diese Teile des Buches sind wirklich interessant. So hatte ich bisher z. B. keine Ahnung, daß Wilhelm der Eroberer die Insel nicht nur erorbert hat, sondern auch einige wichtige Reformen durchgeführt hat oder durchführen wollte. Und selbst bei seinen grausamsten Verbrechen bekommt man noch einen Hinweis darauf, was ihn dazu motiviert haben könnte. Daß man einen guten Grund gehabt zu haben glaubt, macht das Enteignen oder gar Töten hunderter von Menschen natürlich nicht akzeptabel oder entschuldbar, aber ein Mensch, der selbst felsenfest davon überzeugt ist, daß Gott ihn zum Regieren bestimmt hat, kann wohl schon auf komische Gedanken kommen. Kriege ich Ärger, wenn ich als Beispiel ein paar Personen aus der Gegenwart nenne?...Na, ich lasse es lieber.
Samstag, 12. September 2009
Ariana Franklin: Mistress of the Art of Death
England im Jahr 1170: in Cambridge sind mehre Kinder verschwunden und auf grausame Art getötet worden. Die Stadtbevölkerung beschuldigt die Juden, die deswegen aus ihren Häusern flüchten und auf der Burg Zuflucht suchen mußten. König Henry II liegt daran, den wahren Schuldigen der Kindermorde zu finden, denn er braucht die Juden als Steuerzahler und Kreditgeber. Aus Salerno in Italien wird deswegen die junge Ärztin Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar nach England befohlen, denn Adelia hat besondere Kenntnisse: sie ist eine Totenleserin, die vom Zustand einer Leiche Rückschlüsse auf die Todesart ziehen kann. Als Adelia in Cambridge ankommt, versuchen sie und ihre Reisegefährten unter der mißtrauischen Beobachtung der Stadtbewohner und der Kirche, die Verbrechen aufzuklären. Doch der Mörder merkt, daß man ihm auf die Spur kommt, und beginnt Adelia und ihre Freunde anzugreifen...
Mistress of the Art of Death ist ein spannender Krimi, wie er sein soll. Langsam erhält Adelia - und damit auch der Leser - immer mehr Hinweise, was geschehen sein könnte, bis zur spannenden und dramatischen Auflösung. Die Charaktere des Buches wirken weitestgehend realistisch, denn auch die "Guten" haben gute und schlechte Eigenschaften, Vorlieben und Abneigungen.
Mit Adelia selbst hatte ich allerdings ein kleines Problem, denn in einer Hinsicht kann ich sie überhaupt nicht verstehen. Sie ist eigentlich eine sehr mitfühlende Person: sie haßt, was den getöteten Kindern angetan wurde, und deren Verwandte tun ihr leid. Da sie als Ärztin ausgebildet ist, versucht sie alles, um Kranken und Verletzten zu helfen. Doch ihr eigenes Schicksal nimmt sie mit verblüffender Gelassenheit hin.
Man muß sich das mal vorstellen: Adelia ist eine junge Frau, die ihre geliebten Pflegeeltern verlassen muß, um eine monatelange, beschwerliche und gefährliche Reise in ein fremdes Land anzutreten. Unterwegs stirbt ihre beste Freundin und Vertraute. In England angekommen, muß ihr Reisegefährte Mansur vorgeben, der Arzt zu sein, und Adelia selbst muß als seine Gehilfin auftreten, denn die Einwohner von Cambridge sind der festen Überzeugung, daß es Hexerei ist, wenn eine Frau etwas anderes tut als putzen, kochen, beten und Kinder kriegen. Schließlich steht sie sogar völlig mittellos da, denn als Frau kann sie das für sie hinterlegte Geld nicht beim Bankier abheben. Am Ende des Buches befiehlt König Henry Adelia, in England zu bleiben. Und auch da bleibt sie noch ziemlich ruhig! Also ich hätte an ihrer Stelle geschrien und getobt und versucht, zu fliehen.
Trotzdem fand ich das Buch sehr unterhaltsam, und das ist schließlich die Hauptsache.
Mistress of the Art of Death ist ein spannender Krimi, wie er sein soll. Langsam erhält Adelia - und damit auch der Leser - immer mehr Hinweise, was geschehen sein könnte, bis zur spannenden und dramatischen Auflösung. Die Charaktere des Buches wirken weitestgehend realistisch, denn auch die "Guten" haben gute und schlechte Eigenschaften, Vorlieben und Abneigungen.
Mit Adelia selbst hatte ich allerdings ein kleines Problem, denn in einer Hinsicht kann ich sie überhaupt nicht verstehen. Sie ist eigentlich eine sehr mitfühlende Person: sie haßt, was den getöteten Kindern angetan wurde, und deren Verwandte tun ihr leid. Da sie als Ärztin ausgebildet ist, versucht sie alles, um Kranken und Verletzten zu helfen. Doch ihr eigenes Schicksal nimmt sie mit verblüffender Gelassenheit hin.
Man muß sich das mal vorstellen: Adelia ist eine junge Frau, die ihre geliebten Pflegeeltern verlassen muß, um eine monatelange, beschwerliche und gefährliche Reise in ein fremdes Land anzutreten. Unterwegs stirbt ihre beste Freundin und Vertraute. In England angekommen, muß ihr Reisegefährte Mansur vorgeben, der Arzt zu sein, und Adelia selbst muß als seine Gehilfin auftreten, denn die Einwohner von Cambridge sind der festen Überzeugung, daß es Hexerei ist, wenn eine Frau etwas anderes tut als putzen, kochen, beten und Kinder kriegen. Schließlich steht sie sogar völlig mittellos da, denn als Frau kann sie das für sie hinterlegte Geld nicht beim Bankier abheben. Am Ende des Buches befiehlt König Henry Adelia, in England zu bleiben. Und auch da bleibt sie noch ziemlich ruhig! Also ich hätte an ihrer Stelle geschrien und getobt und versucht, zu fliehen.
Trotzdem fand ich das Buch sehr unterhaltsam, und das ist schließlich die Hauptsache.
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