Da stand sie nun. Es war Susis erste Liebesroman-Tagung, und sie fühlte sich ein wenig verloren. Es war alles so aufregend! Mit feuchten Händen ihr Programmheft umklammernd, betrat sie den Tagungsraum und setzte sich auf den ersten besten Stuhl.
Auf dem Podium selbst hatte sich indessen alles versammelt, was in der amerikanischen Verlagswelt Rang und Namen hatte; immerhin ging es bei dem folgenden Vortrag um nichts geringeres als die Zukunft des paranormalen Liebesromans.
Nach einem kurzen Test der Mikrofone und einigem Herumdrehen an den Knöpfen des Beamers ging es auch schon los. Eine Frau, die ihrem Namensschild nach eine wichtige Mitarbeiterin des Avon Verlags namens Ms. Finch war, erhob sich und begann: "Schon lange hören wir, daß Leserinnen Vampire und Werwölfe satt haben…". Dabei zeigte sie auf die riesige Leinwand, die sich hinter ihr befand, und auf der ein bleicher Mann mit Reißzähnen sowie ein etwas struppiges grau-braunes Wesen zu sehen waren.
"Ha! Das stimmt nicht! Vampire gehen immer, sie müssen nur in der Sonne glitzern!" warf eine Frau ein, die aufgeregt auf einem Stuhl in der ersten Reihe herumzappelte.
"Boah ey, Steffi! Krieg dich wider ein!"
"Glitzernde Vampire sind Weicheier!"
"Mein Jean-Claude tritt glitzernde Vampire in den Arsch und verspeist sie zum Frühstück!"
"Mein Wrath nimmt glitzernde Vampire in den Arm und hat sie ganz doll lieb!"
Die Frau namens Steffi verzog ihr Gesicht als wolle sie gleich anfangen zu weinen. Was war denn falsch an wunder-wunderschönen glitzernden Vampiren?
"Wenn ich jetzt fortfahren dürfte…?" Ms. Finch runzelte die Stirn. Sie haßte es, wenn ihre Vorträge unterbrochen wurden. "Also haben wir, die Liebesroman-Verlage zusammen mit der RWA, nach neuen Möglichkeiten gesucht, um unser Publikum zu begeistern. Und ich darf Ihnen heute mit Stolz mitteilen, daß unsere Suche mehr als erfolgreich war! Aber sehen Sie selbst…"
Auf der Leinwand erschienen nun einige grasende Kühe. "Unsere Marktforschung hat ergeben, daß die Nachfrage nach Gestaltwandlern aller Art nach wie vor stark ist, doch wir sollten unseren Horizont in dieser Hinsicht erweitern. Und so präsentiere ich Ihnen…das
Wer-Rind!"
Ms. Finch lächelte, nickte, und hob an, sich für den Applaus zu bedanken – der jedoch leider ausblieb.
"Ich
esse Kühe", rief eine noch junge Autorin aus, die unweit von Susi ganz am hinteren Rand des Raumes saß.
"Die Leserinnen und Leser werden begeistert sein!
Wer-Rinder sind Vegetarier, und so können wir eine ganz neue Zielgruppe erobern, nämlich die, äh, Vegetarier!"
"Bullshit!"
Man konnte nicht erkennen, von wem dieser Zwischenruf kam, aber einige Autorinnen, die durch ihre riesigen Cowboyhüte unschwer als Texanerinnen zu identifizieren waren, nickten zustimmend und rieben sich die Bäuche. "So'n lecker blutiges Steak wär jetzt nicht verkehrt!" "Wann gibt's hier denn mal was auf die Gabel?"
Ms. Finch rollte entnervt mit den Augen und wünschte sich, sie hätte ein kleines Holzhämmerchen wie Richterin Salesch. Damit könnte sie Ruhe in den Saal bringen und notfalls mit einem gezielten Wurf die schlimmsten Störer k.o. schlagen. Doch da sie eben kein Hämmerchen hatte und die wie immer sehr undisziplinierten Liebesroman-Autorinnen einfach weiterdisktierten – mittlerweile war man dazu übergegangen, Rezepte für Rinderrouladen auszutauschen – blieb ihr keine andere Möglichkeit. "FREIBIER FÜR ALLE!!!" brüllte sie ins Mikrofon.
Sofort senkte sich Totenstille über den Raum, denn alle blickten erwartungsvoll zur Tür, durch die sicherlich gleich einige Bierfässer gerollt würden.
"Ne, war nur Spaß", grinste Ms. Finch. "Also, offensichtlich ist die Zeit vor allem bei den konservativeren Mitgliedern unserer
Community noch nicht reif für Wer-Rinder. Aber wir haben natürlich nicht nur einen großartigen Vorschlag für neue Romanfiguren vorbereitet, meine Damen!"
Ein Klick auf die Fernbedienung des Beamers, und das Foto der grasenden Kühe wurde durch ein wesentlich furchteinflößenderes Bild von riesigen Dinosauriern mit bizarr geformten Hörnern ersetzt. Im Hintergrund waren einige feuerspeiende Vulkane zu sehen.
"Geilomat!" schrie eine Autorin. "Wer-Vulkane! Ich darf sie zuerst benutzen!"
"Laurell, Schätzelein", sagte die Vertreterin des Penguin-Verlages, die bisher geschwiegen hatte, "du hast doch nicht wieder vergessen, deine Tabletten zu nehmen? Und denk dran, was ich dir gesagt habe: wenn Anita Blake mehr als 365 Lover hat, werden die Leserinnen anfangen, die Serie für unrealistisch zu halten!"
"Och Menno!" Die als Laurell angesprochene Autorin schmollte.
Ms. Finch lächelte indessen stolz. "Richten Sie doch bitte Ihre Blicke auf die gewaltigen Tiere im Vordergrund.
Wer-Dinosaurier! Welche Frau hätte noch nicht davon geträumt, von einer gewaltig großen, gefräßigen Urzeit-Echse entführt zu werden? Wer von Ihnen, meine Lieben, hatte noch nie die Fantasie, sich von schwer verdaulichen, haushohen Schachtelhalmen zu ernähren und ihrem graugeschuppten Liebhaber jede Woche ein Ei von der Größe eines Dackels zu legen? Wer wollte noch nie dem Erdöl beim Entstehen zuschauen?"
Betretenes Schweigen war offensichtlich nicht die Reaktion, mit der Ms. Finch gerechnet hatte, doch mit Ausnahme einer Texanerin, die beim Wort "Erdöl" beglückt strahlte, schauten alle peinlich berührt zu Boden.
"Äh, okay, aber das war noch nicht alles…"
Man merkte deutlich, daß Ms. Finch langsam nervös wurde. Hektisch wühlte sie in ihrer Handtasche, die sie auf dem Tisch neben dem Beamer abgestellt hatte, bis sie schließlich einige Magentabletten zu Tage förderte. Diese steckte sie sich in den Mund und schluckte sie unzerkaut herunter, bevor sie wieder die Fernbedienung des Beamers betätigte.
Auf der Leinwand war nun eine Unterwasserlandschaft zu sehen. Bunte Fische verschiedener Größen tummelten sich zwischen Korallen und Seeanemonen, während Meerestiere wie Seesterne und Seeigel auf dem felsigen Untergrund zu sehen waren.
"Boah, hübsch! Den Bildschirmschoner hab ich auch!" entfuhr es Susi.
Ms. Finch blickte gezwungen lächelnd in die Runde. "Wir haben schon lange keine richtig gut verkäufliche Geschichte über Atlantis gehabt…"
Niemand nutzte Ms. Finchs Kunstpause für einen Zwischenruf. Offensichtlich waren auch Fische und Meeresfrüchte nicht ohne weiteres in der Lage, die Phantasie von Liebesroman-Autorinnen anzuregen. So mußte sie wohl oder übel und ohne weitere Ermunterung durch ihr Publikum fortfahren.
"Nun stellen Sie sich die Möglichkeiten vor, meine Damen! Denken Sie an einen Quastenflosser-Gestaltwandler, der seinem nassen, kalten, dunklen Reich entsteigt, um aus Rache die Tochter jenes Ölmagnaten zu verführen, der in seiner Untersee-Lustgrotte nach Öl bohrte und das Zuhause des Quastenflossers zerstörte!"
Endlich! Einige Harlequin Blaze-Autorinnen spitzten deutlich interessiert die Ohren und machten sich Notizen. Auch die durch ihre schwarzen Lackleder-Stiefel und Stachelhalsbänder unschwer als Elloras Cave-Autorinnen erkennbaren Frauen wurden unruhig und rutschten auf ihren Stühlen hin und her.
"Untersee-Lustgrotte! Geil. Das wird 'ne tolle Gay Romance!"
"Ja, oder wie wär's mit einer Ménage-Geschichte um einen Quastenflosser, eine menschliche Frau und den Klabautermann?"
"Ja, und dann kommt noch ein Wer-Walroß dazu!"
"Yippieh, ich kann's kaum erwarten, mit Schreiben anzufangen!"
"Applaus!"
Endlich! Die Menge tobte vor Begeisterung, und Ms. Finch lächelte zufrieden. Die Umsätze der Liebesroman-Verlage würden im nächsten Jahr wieder gewaltig steigen. Sie winkte einen Hotelangestellten herbei. "Jetzt können Sie den Champagner servieren", sagte sie.
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Ein Jahr später veröffentlichte J.R. Ward das erste Buch einer neuen Serie. Das Buch hieß "Carrot Lover", und der Held war ein Wer-Kaninchen namens Fhluffy, das sich unsterblich in eine Wissenschaftlerin verliebt, die zu Tierversuchen gezwungen wird, um ihren spielsüchtigen Vater vor dem Ruin zu retten.
Etwa zur gleichen Zeit erschien Laurell K. Hamiltons achtunddreißigstes Anita Blake Buch, in dem Anita – natürlich in fescher Lederkleidung – in einem Sado-Maso Club unaussprechlich schmerzhafte Dinge mit einem verwunschenen Seeigel tut.
Katie MacAlister schrieb ein Buch über eine Fußpflegerin, deren Freund sich bei Vollmond in einen Vorwerk-Staubsaugervertreter verwandelt. Das Buch steckte voller lustiger und abgefahrener Ideen, aber das wußte niemand außer Katie selbst und Harriet Klausner. Alle anderen warfen das Buch nämlich nach spätestens 50 Seiten in die Altpapiertonne, weil sie von den sinnfreien und unlustigen Selbstgesprächen der Heldin so genervt waren.
Alles war gut.