Sonntag, 18. Dezember 2011

Aus dem Tagebuch einer Regency-Romanheldin, Teil 13


Liebes Tagebuch,

heute bin ich ganz früh aufgewacht. Ich wollte doch unbedingt wissen, wie das Duell von Kevin und Lord Festerwart ausgegangen war. Es war so früh, daß diese gräßliche Bella nicht kam, als ich nach ihr läutete, damit sie mir beim Anziehen hilft. Ich mußte im Nachthemd durch das ganze Haus laufen, bis ich sie endlich im Keller hinter den Kartoffelsäcken fand, wo sie auf dem Bauch von Tom, dem Küchenjungen schlief. Und sie waren beide splitterfasernackt! Ich war noch niemals in meinem ganzen Leben so schockiert.

Als Bella und ich endlich beide angezogen waren, war es schon fast Mittag und ich fand heraus, daß Kevin das Duell unbeschadet überstanden hatte. Uff, ein Glück! Aber liebes Tagebuch, stell dir vor, er hat nach dem Duell Lord Festerwart mit in unser Haus genommen, damit wir ihn hier als meinen zukünftigen Gatten gesundpflegen! Lord Festerwart hat den Marmorfußboden in der Eingangshalle und die Treppen vollgeblutet, als sie ihn hereingetragen haben. Obendrein ist sein Blut rot und nicht blau. Er muß wohl einige Bürgerliche unter seinen Vorfahren haben. Und so einen Mann soll ich heiraten? Niemals! Bella sagte mir, daß Lord Festerwart bewußtlos in unserem Gästebett liegt. Angeblich ist seine Nase gebrochen, seine Beine sind verrenkt, und irgendwelche…Innnereien…sind aus seinem Bauch gequollen. Der arme Lord Festerwart. Irgendwie tut er mir leid. Ich glaube, ich werde eine Frau für ihn suchen, sobald ich Papa überzeugt habe, daß ich ihn nicht heiraten muß. Eine, der es nichts ausmacht, daß er so häßlich und fies ist.

Beim Mittagessen machte Papa Andeutungen, ich solle Lord Festerwart pflegen…ihm Verbände wechseln und solche Sachen…damit ich mich schon mal an ihn gewöhnen könne. Igitt, ist ja widerwärtig. Ich bin direkt nach dem Essen in die Bibliothek geflohen, weil Papa mich dort nie suchen wird. Blöd nur, daß es da so langweilig ist. So viele Bücher, und die meisten davon haben noch nicht mal Bilder! Aber ich habe etwas interessantes gefunden. Nämlich einen dünnen Band über die Geschichte der Familie Cheatbridge. Also über meine Vorfahren! Und darin waren sogar Bilder von Familienerbstücken. Unter anderem gab es ein Bild vom Amulett der sündigen Fanny. Wenn man mich fragt, ist es kein großer Verlust, daß dieses Amulett verschwunden ist. Es muß monströs häßlich gewesen sein. Es sieht wie ein goldener Apfel aus, der mit einem riesigen Rubin verziert ist. Als ich das Bild sah, hatte ich plötzlich eine phantastische Idee, wie ich Lord Festerwart loswerden und meinen Papa von seinen Schulden befreien kann, um eines Tages meine Große Liebe zu heiraten.

Also ließ ich mir von Sampson, unserem Butler, meinen Umhang holen und schlüpfte flink aus dem Hinterausgang unseres Hauses. Ich habe aber niemandem gesagt, wohin ich gehe, hihi!

Elizabeth Hoyt: Scandalous Desires

Im Jahr 1738 leitet Silence Hollingbrook zusammen mit ihrem Bruder ein Waisenhaus in einem der übelsten Stadtvertel Londons. Ihr absoluter Liebling unter den Waisenkindern ist ein Baby namens Mary Darling. Eines Tages wird Mary Darling von Mickey O'Connor, einem berüchtigten Flußpiraten und Unterweltkönig, entführt. Als Silence sie zurückholen will, erfährt sie zu ihrem Erstaunen, daß Mary Darling Mickeys Tochter ist und deswegen vor dessen Erzfeind beschützt werden muß. Silence entschließt sich, bei Mickey in dessen palastartigem Anwesen zu bleiben, um auf Mary aufzupassen. Und obwohl sie dessen kriminelle Aktivitäten nicht gutheißt, ist sie gegen seinen Charme nicht gefeit, und so verlieben sich die beiden ineinander...

An diesem Buch stimmt fast alles...nicht. Ich kann kaum glauben, daß es von derselben Autorin stammt, die so eine Perle wie The Serpent Prince geschrieben hat. Meine Kurzzusammenfassung würde lauten: die Handlung ist vollkommen logikfrei, Held und Heldin sind TSTL und das einzig Positive ist, daß der Held Mickey heißt. Find ich irgendwie lustig.

Mickey ist ein richtiger Verbrecher, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen. Raub und Erpressung sind sein täglich Brot. Ein schlechtes Gewissen hat er deswegen keineswegs. Am Ende des Buches wendet er sich von seinen verbrecherischen Aktivitäten ab (das ist jetzt kein Spoiler, oder? Kommt schon, das müßt ihr gewußt haben) - aber nicht etwa, weil er geläutert ist, sondern eher, um der Heldin einen Gefallen zu tun. Er wohnt in einer Art sehr opulent und kitschig ausgestattetem Palast und regiert seine Gefolgsleute mit eiserner Hand. Diese beten ihn dafür wie ein gottgleiches Wesen an und nennen ihn "Himself" (ja, mit großem H) wenn sie über ihn sprechen. In Mickeys Schlafzimmer steht ein riesiges Bed, wo er jede Nacht mit gleich mehreren Frauen verbringt (natürlich nicht mehr, nachdem unsere wackere Heldin die Szene betritt). Für seine Tochter bringt Mickey übrigens kein großes Interesse auf; die hat er nur entführt, um Silence in sein Haus zu locken.

Äußerst nervend ist auch der englische Unterschichtendialekt von Mickey. Der kam mir sehr nachgemacht vor, aber andererseits habe ich natürlich keine Ahnung, wie in London im 18. Jahrhundert die armen Menschen gesprochen haben.

Obendrein wird die Handlung im Verlauf des Buches immer absurder und unlogischer. Das fängt mit Kleinigkeiten an. Eine der adligen Wohltäterinnen des Waisenhauses fragt beispielsweise, warum denn dieses Waisenhaus unbedingt an einem so fiesen Ort wie St. Giles sein müsse. Die Antwort lautet schlicht und ergreifend, daß die meisten der Waisen just in diesem Stadtviertel geboren seien. WTF? Kinder müssen immer an dem Ort großgezogen werden, wo sie geboren wurden? Super Sache. Dann wäre ich in Dortmund-Kirchhörde aufgewachsen. Das ist wesentlich, hm, bürgerlicher als meine gute alte Heimat Dortmund-Scharnhorst. Ich wette, da stehlen die Grundschulkinder nicht schon in der zweiten Klasse ihrem Lehrer die Zigaretten, zerhacken Holzzäune mit Äxten zu Kleinholz und verlassen ihre Häuser grundsätzlich nur durch Fenster im Erdgeschoß, weil die Haustür defekt und vernagelt ist.

Aber ich schweife ab. Nach sehr kurzer Zeit übernimmt die eigentlich nur als Gast geduldete Silence die Haushaltsführung des furchteinflößenden Verbrecherkönigs, was darin resultiert, daß es gesünderes, aber widerwärtiges Essen gibt. Ich meine, gekochte Rüben? Silence läßt Mickey gekochte Rüben servieren und er will immer noch Sex mit ihr? Das Buch muß in einem Paralleluniversum spielen. Die meisten Menschen, die ich kenne, würden schon beim Gedanken an gekochte Rüben nur noch reihern. Sexy ist das nicht gerade. Obwohl wir es hier ja andererseits mit Engländern zu tun haben. Wer Pommes mit Essig und Toastbrot mit kalten Dosenspaghetti ißt, ist eh zu allem fähig.

Später im Buch wird Silence von ihrer Familie vor dem Schurken beschützt. Eine von Silences Schwestern hat in eine adlige Familie eingeheiratet, und so finde ich es ziemlich seltsam, daß alle denken, der Schurke könne Silence entführen, meucheln und niemand würde jemals herausfinden, was ihr geschehen ist. Diese Leute sind reich, berühmt und wissen, wer hinter ihr her ist. Eigentlich hat der Bösewicht überhaupt keine Chance, und das macht das Buch auch nicht gerade spannender.

Am Ende kommt dann doch noch ein klein wenig Spannung auf, weil Mickey verhaftet wird und ein grausames Ende fürchten muß - aber das kann das Buch auch nicht mehr retten. Zumal auch das Happy End mit konsequenter Unlogik herbeigeführt wird.

Das Vorgängerbuch Notorious Pleasures fand ich ja auch schon etwas doof, aber immerhin noch sehr unterhaltsam. Scandalous Desires hat dagegen nichts, was für es spricht. Ich mag den Schreibstil von Elizabeth Hoyt, aber die unlogische Handlung und die größtenteils recht dämlich agierenden Protagonisten kann er nicht wettmachen.