Rhys St. Maur hat es im Leben schwer gehabt. Nach einer schlimmen Kindheit hat er jahrelang in der britischen Armee gegen Napoleon gekämpft. Nun will er in seinem Heimatdorf, das am Gesäß unseres Planeten in Devonshire liegt, nach dem Rechten sehen und trifft eine Jugendfreundin wieder: Meredith Maddox. Meredith ist die Besitzerin der einzigen Kneipe des Dorfes und hat große Pläne: sie will sie in ein Hotel für durchreisende Adlige umwandeln, um so Geld ins Dorf zu holen und Arbeitsplätze für dessen Bewohner zu schaffen. Rhys fühlt sich aufgrund der Untaten seines Vaters schuldig und beschließt, ihr zu helfen.
Eingentlich hat Twice Tempted by a Rogue fast alles, was ich an einem Liebesroman nicht mag: eine arg an den Haaren herbeigezogene und nicht wirklich logische Geschichte, das, was der Amerikaner sehr treffend als "wallpaper history" bezeichnet, und last but not least eine Spontane Hochzeit. Oder besser gesagt, einen spontanen Heiratswunsch, denn Rhys sagt Merry schon auf Seite 45, daß sie heiraten werden. Wohl gemerkt, er sagt es ihr - er fragt sie gar nicht erst.
Auf die Geschichte von Rhys' Familie wird nicht weiter eingegangen, aber offensichtlich ist das Dorf, in dem das Buch spielt, wirklich am Popo des Universums und Rhys' Familie hatte dort einen Landsitz, der wohl der einzige Ort war, wo die Dorfbewohner Arbeit finden konnten. Nachdem der Landsitz abgebrannt ist, gibt es im Dorf nur noch Merrys Kneipe. Es gibt weder Ackerbau noch Viehzucht oder irgendeine andere Form der Primär- oder Sekundärindustrie. Die Dorfbewohner vertreiben sich die Zeit damit, in der Kneipe abzuhängen und Luxusgüter aus Frankreich ins Land zu schmuggeln.
Nun kommt also Rhys nach mehreren Jahren zum ersten Mal dorthin und zwischen ihm und Merry funkt es sofort. Rhys bekommt das aber erst nicht mit, denn nach einem Leben voller Gewalttaten hat er ziemlich viele Narben und auch das ein oder andere Zipperlein; er denkt einfach nicht, daß eine Frau ihn attraktiv finden könnte. Was er anfangs nicht weiß, ist, daß Merry schon als junges Mädchen in ihn verschossen war und ihn nie vergessen hat. Sie muß ziemlich deutlich werden, damit er begreift, daß sie ihn will.
Das macht die schon erwähnte Hochzeitsankündigung auf Seite 45 umso befremdlicher. Rhys denkt, daß Merry ihn körperlich abstoßend findet und ich sehe auch beim allerbesten Willen nicht ein, warum er ihr, ihrem Vater und dem ganzen Dorf nicht finanziell und sonstwie helfen kann, ohne daß die beiden heiraten - es ergibt einfach keinen Sinn. Diese Szene war ein extremer literarischer WTF???-Moment für mich.
Das erstaunliche daran ist aber, daß ich das Buch genossen habe. Ich fand es toll, trotz des doofen Plots!
Das liegt einerseits am ungewöhnlichen Handlungsort - endlich mal keine Bälle, Kutschen und Abendkleider. In Merrys und Rhys' Dorf ist wirklich der Hund begraben. Die Bürgersteige werden da nur deshalb nicht nachmittags um 17 Uhr hochgeklappt, weil man sich morgens gar nicht erst die Mühe macht, sie runterzuklappen. Noch besser haben mir aber die Protagonisten gefallen.
Merry ist klasse. Sie ist eine resolute, selbstbewußte und sehr pragmatisch denkende Frau, die weiß, was sie will und ihren Mitmenschen das dann auch direkt mitteilt. Vor Jahren hat sie den Besitzer der Kneipe geheiratet, der viel älter als sie selbst und nicht ihre große Liebe war. Das war ihre eigene Idee, um so für ihren Lebensunterhalt und den ihres Vaters sorgen zu können. Selbstmitleid, Hysterie und zickiges Verhalten sind ihr völlig fremd. Was sie noch sympathischer macht, sind ihre Liebesromanheldinnen-untypischen Schwächen. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich da und dort mal einen Liebhaber genommen, und schwierigen Situationen begegnet sie gerne mal, indem sie sich einen trinkt. Na denn, Prost! Rhys hat sie schon immer gewollt, schon seit sie alt genug war, um sich überhaupt für Jungen zu interessieren. Trotzdem verschließt sie ihre Augen niemals vor seinen Schwächen und läßt sich auch nicht von ihm herumkommandieren.
Rhys ist nicht gerade das Superhirn unter den Romanhelden, und das ist ihm selbst auch durchaus klar. Er denkt von sich selber, daß er außer Kämpfen und Töten und alles, wofür man rohe Kraft braucht, nicht viel kann. Mangelndes Durchhaltevermögen kann man ihm ebenfalls nicht vorwerfen, denn als die Dorfbewohner versuchen, ihn beim Bau eines Hauses zu sabotieren, läßt er sich durch nichts entmutigen. Es ist unwahrscheinlich rührend zu lesen, wie er versucht, um Merry zu werben, indem er ihr kleine Geschenke bringt und leicht unbeholfene Komplimente macht.
Die beiden müssen sich im Laufe des Buches nach und nach erst besser kennenlernen und auch das wird sehr eindrucksvoll beschrieben: es dauert ein wenig, bis Rhys klar wird, daß Merry die Kneipe tatsächlich als ihr Lebenswerk betrachtet und nicht nur als eine Möglichkeit, sich finanziell über Wasser zu halten, bis sie wieder heiratet. Und Rhys ist durch die Erlebnisse seiner Kindheit und während des Krieges ziemlich verkorkst und wird vermutlich nie ein normaler, umgänglicher Zeitgenosse sein. Er würde Merry selbst niemals ein Haar krümmen, aber gegenüber anderen Personen wird er manchmal ziemlich gewalttätig. Vor allem, da er sich für unkaputtbar hält.
Bleibt noch die Frage, ob ein britischer Aristokrat im 19. Jahrhundert tatsächlich so mir nichts, dir nichts eine Kneipenbesitzerin von zweifelhafter Moral geheiratet hätte - aber das tritt genauso in den Hintergrund wie alles andere (und das ist nicht wenig) was an der Handlung unlogisch ist. Dafür machen das Buch und seine interessanten Charaktere einfach zuviel Spaß.
Ich muss gestehen, dass ich bei all deinen Kritikpunkten das Gefühl habe, dass ich darüber beim Lesen nicht hinwegsehen könnte. Aber deine Beschreibung von Meredith gefällt mir sehr gut - Pragmatismus sollte viel häufiger bei Romanfiguren vorkommen. :D
AntwortenLöschenDeinem letzten Satz stimme ich zu 100 % zu :-)
AntwortenLöschenNa ja, das Buch ist wohl nicht für jeden. Aber ich hatte wirklich Spaß daran.
Das ist ja auch das Wichtigste! :)
AntwortenLöschenIch kenne das Buch nicht, aber ich mag die Autorin. Na ja und es kommt ja doch ab und an vor, dass man haufenweise Kritikpunkte findet, das Buch aber trotzdem unheimlich gerne gelesen hat.
AntwortenLöschenDanke für die tolle Rezi, habe ich gerne gelesen.
Hallo Soleil, schön, daß dir die Rezi gefallen hat :-)
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