Dienstag, 8. September 2009

Bücher, die man nicht lesen kann oder: Der unaufhaltsame Abstieg von Loretta Chase

Geht euch das manchmal auch so? Man kauft oder leiht sich ein Buch, freut sich darauf, es zu lesen, und dann hat es irgendetwas an sich, irgendeine Eigenschaft, die es einem unmöglich macht, das Buch zu lesen. Gelegentlich ist es ja nur so, daß man das richtige Buch zur falschen Zeit in der Hand hat - also z. B. einen historischen Liebesroman, wenn man eigentlich lieber einen in der Gegenwart spielenden Thriller lesen möchte. Dann liest man den Liebesroman vielleicht ein paar Wochen später und findet ihn super. Bei anderen Büchern weiß man aber schon nach ein paar Seiten, daß sie etwas haben, das das Lesevergnügen total und für immer vermiest.

Für mich entwickelt sich Loretta Chase in letzter Zeit zu einer Spezialistin für solche Bücher, obwohl ich an sich ihren Schreibstil sehr mag und einige ihrer Bücher für mich zu den besten ihres Genres gehören - wobei ich das von vielen verehrte "Lord of Scoundrels" nicht ganz so gut wie "The Last Hellion" fand. Bei "Lord of Scoundrels" meine ich mich zu erinnern, daß mich das doch recht fehlerhafte Italienisch das Helden sowie dessen neurotisches Gehabe (oh mein Gott, meine Braut ist so zierlich! Sie wird sterben, wenn wir Sex haben! - weibliche Dackel können doch auch von männlichen Doggen bestiegen werden, oder? Ehrlich gesagt: so ganz sicher bin ich mir nicht...aber wenn die Dogge ein bißchen gelenkig ist und der Dackel nicht so doll zappelt, sollte es möglich sein, nicht wahr...?) ein wenig gestört hat. Das beste Loretta Chase-Buch aller Zeiten und eines meiner Lieblingsbücher ist allerdings Lord Perfect. An diesem Buch stimmt wirklich alles. Aber zurück in die Gegenwart. Your Scandalous Ways war für mich eine herbe Enttäuschung, da reihte sich einfach nur ein Klischee ans nächste, und das noch nicht einmal auf eine besonders charmante oder unterhaltsame Art und Weise. Ich habe nur die ersten ca. 100 Seiten gelesen. Nach positiven Bewertungen von allen, die im Internet Rang und Namen haben, hatte ich mich aber schon sehr auf ihr neues Buch, Don't Tempt Me, gefreut.

Darin geht es um eine dem englischen Hochadel entstammende Frau - das ist Zoe Lexham, die Heldin -, die als 12jährige entführt und in einen Harem verkauft worden ist. Mit Anfang/Mitte 20 ist ihr die Flucht gelungen, und sie ist wieder bei ihrer Familie. Das ganze ist natürlich äußerst skandalös, und Lucien de Grey, der Herzog von Marchmont, ein Freund der Familie und Held dieser Geschichte, soll ihr dazu verhelfen, daß sie in der sogenannten guten Gesellschaft wieder akzeptiert wird. So weit, so gut - eine Ex-Haremsdame als Heldin, auch wenn ihr Scheich, Kalif, oder was immer er war, praktischerweise impotent war und sie somit eine liebesromankonventionskonforme Jungfrau ist, ist ja wirklich mal was anderes.

Zusammen mit dem Schreibstil von Loretta Chase, den ich ja, wie schon erwähnt, wirklich mag, sind das eigentlich die besten Voraussetzungen für einen schönen, mitreißenden, spannenden Roman. Aber dann geht's los. Der Held, Lucien, ist eine wandelnde, wenn auch soweit ganz sympathische, Ansammlung von Liebesromanheldenklischees. Das fängt beim Namen an - hat eigentlich mal jemand eine Statistik darüber angefertigt, wie viele Liebesromanhelden namens Lucien oder Damien es gibt? Ich weiß nicht, wie viele es sind, aber es sind auf jeden Fall zu viele. Warum können die nicht einfach mal John, James oder Theodor heißen? Außerdem ist er kalt und zynisch, doch in seinem Inneren verbirgt sich eine verletzliche Seele die sich fürchtet, zu lieben, weil zu viele seiner Angehörigen zu früh gestorben sind. Das hatten wir noch nicht, oder? Na ja, nur so in etwa jedem zweiten Liebesroman seit Erfindung des Genres. Und natürlich ist dieser Lucien auch attraktiv, ohne dabei jedoch übertriebenen Wert auf sein Äußeres zu legen, und alle Frauen fliegen auf ihn.

Das sind aber alles noch Dinge, die mich nicht so sehr stören - wenn sie es täten, müßte ich ja einen riesengroßen Bogen um alle Liebesromane machen, nicht wahr? Es geht aber damit weiter, daß ausgerechnet dieser laut Beschreibung recht skandalumwitterte Lucien dafür sorgen soll, daß Zoe ihren guten Ruf wiedererlangt. Wäre es da nicht logischer, wenn sie von jemandem betreut und eskortiert wird, der selbst über jeden Zweifel erhaben ist? Macht man nicht den Bock zum Gärtner, wenn der Wüstling die Ex-Haremsdame in ein Vorbild an Anstand, Keuschheit und guten Manieren verwandeln soll?

Doch auch das ist zwar unlogisch, aber noch nicht so schlimm, denn der unterhaltsame Schreibstil des Buches läßt mich einiges verzeihen, und Lucien ist ein sympathischer Held, auch wenn er aus einem Liebesromanhelden-Baukasten kommt. Ich mag ihn.

Das größte Problem ist für mich Zoe. Zoe ist, nun ja, blöd. Nicht blöd im Sinne von "sie mußte die erste Schulklasse 3 x wiederholen und kann bis heute nicht wirklich lesen", sondern im Sinne von "ihr Verhalten ist dämlich und komplett unlogisch". Zoe wollte nach eigenem Bekunden aus dem Harem flüchten und zu ihrer Familie zurückkehren, um das Leben zu führen, das ihr zusteht. Ja warum zum Teufel macht sie denn dann nicht genau das? Aber nein, Zoe muß ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit klarstellen, wie unkonventionell sie ist und wie schnurzegal ihr alle Regeln der Gesellschaft sind. Klar: mich würde es auch ausgesprochen nerven, wenn ich nur mit Anstandsdame das Haus verlassen dürfte und meine männlichen Verwandten um Erlaubnis fragen müßte, bevor ich auf eine Party gehen, ein Kleid kaufen oder irgendetwas anderes machen könnte. Aber Zoe will ja angeblich genau diese Lebensart. Sie will respektiert werden, tut aber gleichzeitig alles um zu verhindern, daß die anderen Mitglieder ihrer Gesellschaftsschicht sie als eine der ihren anerkennen. Als Kind war sie dafür bekannt, daß sie ständig abgehauen ist. Jetzt ist sie gerade dem Harem entkommen und fängt wieder an, abzuhauen, wenn ihr etwas nicht in den Kram paßt - wie z. B. Lektionen im guten Benehmen. Hallo? Was glaubt sie denn - daß ihr die Bewunderung der oberen Zehntausend zuteil wird, wenn sie gerade mal weiß, wie man mit den Fingern Falafel ißt?

Zoe muß ihre Zofe - die sie erst vor wenigen Tagen kennengelernt hat - zu ihrer Vertrauten machen:

When [...] Jarvis had relaxed a degree, Zoe startled her by stroking her arm.
"Where I've come from", Zoe said gently, "we say what's in our hearts and we touch, as you do not", she said. "My husband, Karim, gave me a slave, Minhat. With her I could share what was in my heart, as I couldn't do with the other wives or concubines or slaves. You're not a slave, but you are my Minhat. If we can't speak freely together, then there's no one with whom I can do so. My sisters are all crazy. They all think I'm crazy. None of them can be my Minhat. Wherever I go, you'll go with me. When I marry, you'll come with me to my husband's house. You must speak your heart, always."

Wenn ihr mich fragt, müßte diese Zoe sich mal den Kopf untersuchen lassen. Und wäre die Zofe Jarvis ein Mensch und nicht eine Nebenfigur in einem Liebesroman, hätte sie an dieser Stelle die Beine in die Hand genommen und das Weite gesucht. Mal ganz davon abgesehen, daß es in Zoes Situation mit Sicherheit eine ausgesprochen blöde Idee ist, die Zofe zu ihrer Vertrauten zu machen: einerseits ist Zoe dadurch erpreßbar wenn sie mal was verbotenes tut, andererseits braucht die Zofe ja nur mal ein bißchen Klatsch mit der Köchin der Gräfin von nebenan auszutauschen, schon weiß die ganze Stadt, was Zoe tut.

Der Schwachsinn wird aber noch schlimmer. Zoe findet nämlich, daß Lucien ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkt. Da das Telefon noch nicht erfunden ist, kann sie ihn nicht anrufen oder ihm eine SMS schicken. Einfach eine Nachricht mit einem Boten zu schicken, ist ihr aber auch nicht gut genug, also was macht sie? Ganz klar, sie sucht sich die gammeligste Mietkutsche von ganz London und steckt ihren Kopf aus dem Fenster, während sie damit an Luciens exklusivem Herrenklub vorbeifährt. Logo, das ist ja auch genau das richtige für ein Mädel, das im England des frühen 19. Jahrhunderts seinen guten Ruf reparieren und nicht ruinieren möchte.

Ich habe danach noch ein Stückchen weitergelesen, bis Lucien Zoe in einer anderen Kutsche verfolgt und sie schließlich in einem Park einholt und küßt.

Dann hat es mir gereicht. Das Buch wandert auf den "so schnell wie möglich loswerden"-Stapel. Ich denke nicht, daß es zuviel verlangt ist, daß ein Unterhaltungsroman eine halbwegs plausible Handlung hat. Sonst ist er ja nicht unterhaltsam. Liebe Frau Chase: Don't Tempt Me ist leider ein Flop und Zoe ist nicht bezaubernd und anbetungswürdig, sondern sie nervt.

3 Kommentare:

  1. Oh Gott, oh Gott … ich hab deinen Artikel nach der Hälfte abgebrochen, weil ich "Don't tempt me" hier noch ungelesen liegen habe und gern einigermaßen unvereingenommen rangehen würde. Aber so richtig Lust hab ich jetzt schon nicht mehr drauf! *eek*

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  2. Och, laß dich doch nicht entmutigen. Ich hab das Buch nicht weitergelesen, hauptsächlich weil ich die Heldin so ultra-nervend fand. Aber hunderte von anderen Menschen haben dieses Buch gelesen und fanden es toll!

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  3. Grossartig!!! Ich kenne das Buch zwar nicht, aber es war einfach phantastisch, dein Beurteilung zu lesen!

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