Dieses Buch ist erstaunlich. Es stecken mindestens soviele Post-it Zettel darin wie Stacheln im Rücken eines Igels - in anderen Worten, auf ungefähr jeder zweiten Seite stand etwas, das ich haarsträubend, absurd oder eigenartig fand. Eigentlich war das Buch ein einziger langer WTF?-Moment. Das erstaunliche daran aber ist, daß ich es trotzdem mochte! So richtig erklären kann ich mir das nicht, aber es könnte daran liegen, daß Billy zu meiner Lieblings-Art von Romanheld gehört: er verfällt der Heldin innerhalb kürzester Zeit mit Haut und Haaren. Er braucht sie, um glücklich zu sein.
Zu den ersten Dingen, die ich befremdlich fand, gehörte die Tatsache, daß Jacinda an Billys Aussehen erkennen kann, daß er eigentlich ein Aristokrat ist:
"Perhaps he was the product of some highborn rake's dalliance with a tavern wench, for he had a bold, strong, sensual face with a fineness to his features that whispered of loftier bloodlines than his seeming Cockney origins."
Ist doch totaler Quatsch. Man muß nur mal in ein Museum gehen oder ein Schloß nebst Ahnengalerie der ehemaligen Besitzer besichtigen: Die Monarchen und Adligen vergangener Jahrhunderte sahen fast alle ziemlich degeneriert und inzuchtgeschädigt aus. Hauptsächlich deswegen, weil sie degeneriert und inzuchtgeschädigt waren. Hätte man damals ein Mitglied der Unterschicht gewaschen und neu eingekleidet, hätte er oder sie höchstwahrscheinlich besser ausgesehen als, sagen wir mal, ein Herzog oder eine Gräfin.
Als nächstes schenkt Jacinda Billy ihr diamantenbesetztes Halsband, weil sie...tja, warum eigentlich? Ach ja, sie spürt ganz tief in ihrem Inneren, daß er eigentlich ein guter Mensch ist. Klar doch, sie kennt ihn ja auch schon seit ungefähr einer halben Stunde.
Und jetzt wird's wirklich übel. Jacinda erzählt Billy nämlich von den Heldentaten ihrer Mama. Jacindas Mama hatte 6 Kinder von 4 verschiedenen Männern, wobei sie nur mit einem davon verheiratet war. Nun gut: in ihrem Nachwort schreibt die Autorin, daß die Countess of Oxford ihr Vorbild für Jacindas Mama war. Über diese angebliche Grande Dame des Regency-Zeitalters habe ich allerdings im Internet überhaupt nichts gefunden, obwohl es seit dem Mittelalter Unmengen von Gräfinnen von Oxford gab. Könnte Frau Foley vielleicht die Herzogin von Devonshire gemeint haben? Ich werde es niemals wissen. Jedenfalls hat Jacindas Mutter an der Sorbonne studiert - vor der französischen Revolution. Das allein hat mir schon die Schuhe ausgezogen, denn wieviele Frauen im allgemeinen und britische Adelstöchter im besonderen haben damals wohl an der Sorbonne studiert? Hm, bestimmt ganz viele. Sicher hatten sie sogar ein eigenes Wohnheim. Tja, und dann hat die gute Frau auch noch im Jahr 1799 in Frankreich ein vorzeitiges Ende unter der Guillotine gefunden, weil sie dabei erwischt wurde, daß sie Kinder von Aristokraten außer Landes schmuggelte. Ein seltsamer Zufall, denn just in diesem Jahr fand auch die französische Revolution ein (nicht unbedingt vorzeitiges) Ende. Napoleon Bonaparte erklärte sie nämlich für beendet und bot emigrierten Adligen lt. Wikipedia sogar eine Entschädigung an, was mich an der Geschichte von Jacindas Mama zumindest zweifeln läßt.
Aber weiter im Text. Wenig später fangen Billy und Jacinda an zu knutschen und landen schließlich auf seinem Lotterbett, das er sonst mit seiner Geliebten, der heißblütigen Zigeunerin Carlotta teilt:
"For a heartbeat, she protested, her voice hoarse and feeble, but then she was distracted by the voluptuous perfume of exotic spices wafting up from his mattress as he laid her down."
An dieser Stelle dachte ich, ich freß' nen Besen, mein Hamster bohnert und mein Schwein pfeift. Exotische Gewürze? Diese Matratze muß doch nach allen erdenklichen Körperflüssigkeiten diverser Altersstufen "duften"! Und wie abtörnend ist es denn, auf einem Bett verführt zu werden, in dem es der Typ vorher mit einer anderen getrieben hat?
Sehr irritierend fand ich übrigens auch, daß Jacinda ihren Geliebten immer Billy-boy nennt. Dafür kann die Autorin aber wahrscheinlich nichts, denn womöglich gibt es die gleichnamige Kondom-Marke in Amerika gar nicht.
Nun ja, Billy findet jedenfalls heraus, wer Jacinda wirklich ist, und bringt sie nach Hause. Die Vernunftehe wird abgesagt, und wenige Tage später reitet Jacinda mit einigen Verehrern durch den Hyde Park. Billy kommt vorbei und geht auf sie zu, um ihr das Diamantcollier zurückzugeben, das sie in ihrem Edelmut bei ihm gelassen hat. Schlauerweise gibt sie vor, ihn nicht zu kennen, da sie sich vorgenommen hat, keine weiteren Skandale mehr zu verursachen. Billy ist beleidigt - wieso sollte eine "höhere Tochter" wie Jacinda schließlich keinen Kriminellen aus Londons übelstem Stadtviertel kennen und ihm ihren Schmuck leihen?
Billy und seine Diebesbande werden von einem Rivalen verraten und bei einem Einbruch festgenommen. Um sich und seine Kumpels vor dem Galgen zu retten, läßt er zu, daß sein verhaßter Vater ihn rettet und bei sich aufnimmt. Eine der Bedingungen ist allerdings, daß er ein gesittetes Benehmen an den Tag legt und so schnell wie möglich heiratet. Natürlich verliert Billy keine Zeit, bei Jacindas Brüdern um ihre Hand anzuhalten und eigentlich könnte jetzt ganz schnell das Happy End kommen, hätte Jacinda sich nicht vorgenommen, einen ältlichen Nachbarn zu heiraten.
Von da an wird das Buch besser. Vorher war es nur unterhaltsam, wenn auch auf Grund des äußerst absurden Verhaltens der Charaktere auf eine eher Monty Pythoneske Art. Dann aber lernt der Leser die Hauptpersonen, und besonders Billy, besser kennen, und er wird richtig sympathisch. Was ihn von vielen Liebesromanhelden unterscheidet ist die Tatsache, daß er sehr verletzlich ist - er zweifelt an sich selbst und an seinen Fähigkeiten, und manchmal denkt er, daß er nicht gut genug für Jacinda ist. Auch das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern und der Einfluß, den es auf ihn hat, werden sehr anschaulich beschrieben. Am Ende wächst auch Jacinda, die anfangs eher der Typ "dumme Blondine" ist, über sich hinaus. Sie macht ihm klar, daß sie ihn liebt und alles für ihn tun würde, aber sie zeigt ihm auch gelegentlich, wo es lang geht. Ich denke, am Ende des Buches haben die beiden ein sehr gesundes, gleichberechtigtes Verhältnis zueinander.
Was macht es da schon, daß Jacinda Billy in einer äußerst unwahrscheinlichen Szene vor seinen Feinden rettet, und daß ihr Bruder mit keiner Wimper zuckt, als sie ihre Kleidung nach einem Techtelmechtel mit ihrem Liebhaber falschherum trägt?
Insgesamt gibt es in dem Buch Unmengen von haarsträubend absurden, unwahrscheinlichen Handlungen, und wenn ich eine Glatze hätte, wären meine Augenbrauen beim Lesen sicherlich an meinen Hinterkopf gewandert, so sehr mußte ich sie oft hochziehen. Aber ich habe mich amüsiert und ich war gerührt. Und das ist schließlich die Hauptsache.
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