Sonntag, 11. September 2016

Bücher die man nicht lesen kann, Teil 11: Rafael Eigner: Kammerflimmern und Klabusterbeeren

Benny Brandstätter ist - seiner eigenen Auffassung nach - der tollste Typ der Welt. Er ist Ende 30, Arzt an einem Stuttgarter Krankenhaus und soeben von der Anästhesie in die Notaufnahme gewechselt. Vor seiner Zeit im Krankenhaus hat er auch schon armen kranken Menschen in Afrika geholfen. Neben seiner Arbeit nimmt er noch an mehreren Weiterbildungskursen teil, unter anderem an einem Lehrgang über Palliativmedizin. Nichts davon hält ihn von seinen Hobbies ab: er ist nebenbei nämlich auch noch ein genialer Musiker und Sänger, Sportler und Teilzeitalkoholiker und -kiffer. Ganz klar, der gute Mann ist nicht ausgelastet. Deshalb ist er auch vollkommen fasziniert und hingerissen, als eine wundervolle Frau in sein Leben tritt, an die er sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kann, weil er hackenbreit war.

Nun ja. Das beste, das ich über dieses Buch sagen kann, ist wohl, daß ich es über Kindle unlimited heruntergeladen habe und nichts dafür extra bezahlen mußte. In den Amazon-Kundenbewertungen sind die Meinungen etwas geteilt, aber davon habe ich mich dummerweise nicht abhalten lassen, weil ich die Leseprobe ganz lustig fand. Ein Liebesroman aus der Sicht eines Mannes, von einem männlichen Autor geschrieben. Hörte sich ja auch interessant an.

Von der Ansicht, daß Ärzte Halbgötter in Weiß sind, habe ich mich sowieso schon lange getrennt.

Romanheld Benny ist aber noch mal eine ganz andere Dimension von, nun ja, sprechen wir es direkt aus, scheiße. Seinen Patienten bringt er grundsätzlich nichts anderes als Desinteresse und / oder Verachtung entgegen. Weibliche Patienten werden erstmal auf ihre erotische Attraktivität hin überprüft, die aber oft zu wünschen übrig läßt:

"Alles an der jungen Frau, vom ausgewaschenen Pullover mit merkwürdigen Flecken über der rechten Brust bis zum achtlos mit einer Klammer im Nacken zusammengesteckten Haar, schrie: 'Ich bin Vollzeitmutter und kann mich nicht auch noch um Klamotten und Haare kümmern!'

Klar. Ich finde es auch sehr dreist, daß die Frau sich nicht wenigstens ein hübsches Kleid anzieht und eine schicke Frisur macht, bevor sie mit ihrem Kleinkind ins Krankenhaus zur Notaufnahme fährt.

Andere Patienten, deren gesundheitliches Problem Benny irgendwie lustig oder bizarr findet, werden erstmal heimlich fotografiert und die Fotos per Whatsapp an Ricky (die entschwundene Angebetete) und alle möglichen anderen Leute verschickt.

Und das sind nur die Dinge, die passieren, wenn Benny tatsächlich mal arbeitet. Seine Weiterbildungskurse besucht er meistens nur, um da zu schlafen, und zum Dienst in der Notaufnahme verspätet und voll wie 'n Eimer zu erscheinen, sieht er auch nicht als Problem an. Egal, lutscht er halt ein Pfefferminzbonbon, damit nicht alle sofort den Alkohol riechen.

Bennys Angebetete Ricky war, als die beiden sich kennenlernten, nur kurz in Stuttgart, ist aber inzwischen nach Mallorca umgezogen und arbeitet dort als Immobilienmaklerin. Die beiden verbringen jeden Tag mehrere Stunden am Telefon. Sie schicken sich Unmengen von Whatsapp-Nachrichten oder telefonieren. Ständig versichern sie sich, wie sehr sie sich schon ineinander verliebt haben und wie wichtig ihnen die jeweils andere Person geworden ist. Und seitenlang werden in dem Buch die Whatsapps der beiden abgebildet, in denen sie sich gegenseitig bestätigen, das sie doch echt viel besser, klüger, intellektueller und überhaupt geiler als alle anderen Menschen auf der Welt sind. Das hält Benny übrigens nicht davon ab, zwischendurch noch mit ein paar anderen Frauen ins Bett zu gehen.

Jetzt denkt ihr bestimmt, daß die arme Ricky wirklich Pech hat, weil sie sich in so ein Mega-Arschloch verliebt - und das stimmt auch. Allerdings ist Ricky selbst eine ziemliche Nervensäge. Sie hat nämlich die Unternehmensberater-Krankheit. Soll heißen: sie liebt es, ständig irgendwelche englischen Begriffe in ihre Konversation einzubauen. Einfach so, weil sie sich dann toll vorkommt. Ihre Immobilienkunden sind grundsätzlich High Rollers, und manchmal ist sie in quite a sentimental mood und wenn sie krank ist, schreibt sie ihrem Benny, daß sie sich in case of emergency zu ihm ins Krankenhaus fliegen lassen würde.

Im Stuß labern sind alle beide ganz groß.

Wenn der geneigte Leser sich jetzt fragt, ob dieses Buch auch eine Handlung hat, kann ich sagen: tja, na ja. Es hat mehr Handlung als Bis(s) zum Morgengrauen. Weniger würde auch kaum gehen, da selbst eine Einkaufsliste mehr Handlung als Bis(s) zum Morgengrauen hat. Aber da dem Ich-Erzähler Benny seine Mitmenschen einschließlich seines Vaters weitestgehend am Allerwertesten vorbeigehen, und da Selbstmitleid definitiv das stärkste Gefühl ist, das er im Lauf des Buches verspürt, ist das bißchen, was an Handlung da ist, auch nicht sonderlich interessant.

Ich kann wirklich nur jedem raten, einen großen Bogen um dieses mißlungene Buch und seinen zutiefst unsympathischen Protagonisten zu machen.