Mittwoch, 24. Oktober 2012

Sherry Thomas: Private Arrangements

England im späten 19. Jahrhundert: Gigi Rowland ist eine reiche junge Erbin, die sich Hals über Kopf in einen jungen Lord namens Camden Saybrook verliebt, der sich ebenfalls zu ihr hingezogen fühlt, obwohl er mit einer anderen Frau so gut wie verlobt ist. Elf Jahre später sind die beiden als Lord und Lady Tremaine verheiratet, haben sich aber seit vielen Jahren nicht gesehen. Gigi will die Scheidung, und Camden willigt ein - allerdings nur unter der Bedingung, daß sie vorher einen Erben zur Welt bringt. Dieses Projekt wird sofort in Angriff genommen, doch ist die endgültige Trennung tatsächlich das, was Gigi und Camden wollen?

Private Arrangements ist eine Entdeckung unter den Historicals. Ich bin wirklich begeistert von Sherry Thomas' Schreibstil, aber auch von ihrer Charakterisierung des Helden, der Heldin und der meisten Nebenfiguren. Hier taucht keine einzige der mittlerweile so langweilig gewordenen Klischeefiguren auf, alle Personen werden dem Leser mit Liebe zum Detail nahegebracht.

Gigi ist schon als 18jährige eine Person mit einem sehr gesunden Selbstbewußtsein. Sie weiß, daß sie aufgrund ihres Reichtums fast alles haben kann, was sie will, und sie schreckt auch nicht davor zurück, andere Menschen zu manipulieren. Sie besitzt einen guten Geschäftssinn und sorgt dafür, daß ihr Reichtum sich mehrt, anstatt ihre Zeit ausschließlich mit Teetrinken und Klavierspielen (oder was immer reiche Frauen im späten 19. Jahrhundert sonst zu tun pflegten) zu verbringen. Andererseits ist sie aber auch ein Mensch mit tiefen Gefühlen, ist manchmal unsicher und hat Angst, zurückgewiesen zu werden. Eines ist sie keineswegs: passiv. Sie agiert viel öfter, als sie reagiert.

Camden stammt aus einer verarmten, aber äußerst vornehmen Familie. Da er auch recht geschäftstüchtig ist, schafft er es innerhalb weniger Jahre, seine Finanzen zu sanieren. Camden hat sehr tief verankerte moralische Grundsätze, und es fällt ihm sehr schwer, anderen Menschen zu verzeihen, wenn diese gegen diese Grundsätze verstoßen. Das hört sich jetzt so an, als wäre er einer von diesen Romanhelden, die über die 350 Seiten eines Buchs lang einen Stecken im Arsch haben und ihre dazugehörige Heldin erst dann lieben, wenn sie sich haargenau so verhält, wie sie es erwarten. So ist er aber gar nicht. Eigentlich ist er ein herzensguter Mensch, der sich sogar mit seiner Schwiegermutter blendend versteht.

Was selbige Schwiegermutter, also Gigis Mama, betrifft: oh ja, die ist auch goldig. Sie hat in Private Arrangements eine eigene kleine Neben-Liebesgeschichte mit Happy-End. Gigis Mama ist das, was man heute wohl als gold digger bezeichnen würde (komischerweise fällt mir gerade nicht die korrekte deutsche Bezeichnung dafür ein, und "so wie jede Freundin, die Lothar Matthäus in den letzten 15 Jahren hatte" ist ja wohl weder ein Subjektiv noch ein richtiges Adjektiv). Sie gehört zu diesen Frauen, die finden, man könne sich grundsätzlich viel besser in einen reichen als in einen armen Mann verlieben. Aber sie ist wirklich bezaubernd, und ihre Bemühungen, einen leibhaftigen Herzog für sich zu gewinnen, sind absolut lesenswert.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Erzählweise, denn ein großer Teil der Geschichte - wie Gigi und Camden sich kennengelernt haben, warum sie geheiratet und sich direkt wieder getrennt haben, was in den folgenden Jahren geschah - wird in Rückblenden erzählt. Ich bin eigentlich keine Freundin dieser Erzählweise, aber hier funktioniert es sehr gut. Mein einziger Kritikpunkt ist, daß Gigi und Camden ihr Happy End ein kleines bißchen zu lange durch irgendwelche selbstgemachten Komplikationen herauszögern - meiner Ansicht nach hätten sie sich wohl doch schon gute 30 bis 50 Seiten eher glücklich in die Arme sinken können. Aber ich will nicht meckern. Lieber ein gutes dickes Buch als ein mieses dünnes (ein mieses dickes wäre natürlich noch schlimmer. Nicht auszudenken, wenn Kafkas Verwandlung 350 Seiten hätte. Dann hätte ich mir entweder eine Klinikpackung Valium besorgen oder die sterblichen Überreste meines damaligen Deutschlehrers an einer geheimen Stelle verbuddeln müssen).

Ich freue mich ja immer, wenn ich mal einen Historical entdecke, der etwas ganz neues bietet und auch noch super geschrieben, spannend und kurzweilig ist. Das trifft auf Private Arrangements auf jeden Fall zu, und ich werde sicher noch einiges von Sherry Thomas lesen.


Dienstag, 9. Oktober 2012

Jane Casey: The Burning

Maeve Kerrigan ist eine junge irischstämmige Polizistin, deren Karriere bei der Londoner Kriminalpolizei gerade erst am Anfang steht. Maeve, ihre Kollegen und ihre Vorgesetzten müssen einen schwierigen Fall aufklären: ein Serientäter tötet junge Frauen und verbrennt diese anschließend, so daß neben den Opfern der Verbrechen auch ein großer Teil des Beweismaterials vernichtet wird. Noch schwieriger wird die Aufgabe der Polizei dadurch, daß es beim fünften Opfer einige Unterschiede zu den anderen Fällen gibt - haben sie es etwa mit mehr als einem Täter zu tun?

The Burning ist ein wahnsinnig spannender Krimi, den ich in einem Rutsch durchgelesen und mir anschließend sofort alles andere besorgt habe, was Jane Casey geschrieben hat. Dabei ist die Geschichte ziemlich düster. Maeve selbst hat mit allen möglichen Problemen innerhalb der Polizei zu kämpfen. Es gibt Vorurteile gegen sie wegen ihrer irischen Herkunft und auch einfach, weil sie eine Frau und sehr jung und neu in dem Job ist. Maeves Chef Charles Godley wird von seinen Mitarbeitern mit nahezu kultischer Verehrung betrachtet, seine rechte Hand DI Tom Judd wird eher gefürchtet, und mit ihrem Kollegen Rob Langton ist sie befreundet, doch sie sind auch Konkurrenten.

Gleich auf den ersten paar Seiten des Buches wird ein Verdächtiger festgenommen, aber das ist natürlich eine falsche Spur - sonst könnte The Burning ja nicht über 480 Seiten haben! Was das Buch so überaus spannend macht, ist natürlich einerseits der Schreibstil von Jane Casey, den ich einfach mag. Andererseits ist es aber auch die detaillierte Beschreibung der akribischen Arbeit, die die Polizei leisten muß, um die anfangs sehr spärlichen Beweise zu finden, auszuwerten und zu deuten. Es war auch eine ziemliche Abwechslung, mal einen Krimi zu lesen, der in England spielt - ich muß zugeben, daß ich sonst doch mehr amerikanische als englische Bücher lese.

Ich sollte noch erwähnen, daß The Burning nicht ausschließlich aus Maeves Perspektive (und ja, in der Ich-Form) geschrieben ist. Teilweise wird die Geschichte auch aus der Sicht von Rob und von Louise, der Freundin eines der Opfer, beschrieben. Und während Rob ein netter Kerl ist, der Maeve gern hat und für seine Arbeit als Polizist sein bestes geben will, ist Louise...sagen wir mal, anders. Im Laufe der Geschichte erfährt der Leser ziemlich viel über Louise, und obwohl sie anfangs den Eindruck erweckt, eine graue Maus zu sein, die sich in der Popularität ihrer jüngst ermordeten Freundin Rebecca sonnen wollte, steckt doch sehr viel mehr dahinter. Ein weiterer interessanter Nebencharakter ist Rebeccas Ex-Freund Gil. Ein fieser und irgendwie schleimig-gruseliger Typ.

Aber ich will ja hier nicht das ganze Buch wiedergeben. Ich fand es wahnsinnig spannend und empfehle es jedem, der Krimis mag und damit leben kann, wenn diese aus verschiedenen Perspektiven in der Ich-Form geschrieben sind.